Beton, mit Ozean gefüllt
Der Flakturm im Esterhazypark, Wien 6, ist mit Nachnutzungen gesegnet. Die bekanntesten sind das «Haus des Meeres» mit seinem Zoobetrieb, seinen Events, seiner neuen Panorama-Dachterrasse und seiner Meeresforschungstradition, und die Kletterwand des Alpenvereins. Es sind triviale Nachnutzungen ohne Bezug zur Geschichte der Wiener Flaktürme. Aber es sind Nachnutzungen, die populär sind, von Massen besucht werden und mit dem Bau, den sie füllen (im Fall der Aquarien-Etagen) oder dessen Außenfläche sie bespielen, derart identifiziert werden, dass dieser im Bewusstsein vieler Menschen merkwürdig geschichtslos bleibt. Als ob dieser monströse Turm nicht im Zusammenhang der bisher größten Kriegskatastrophe der Geschichte stünde, sondern extra zwecks Zurschaustellung exotischer Fische zum Gaudium einer meerfernen Stadtbevölkerung in etwas klotzig geratener Form hingestellt wurde. Dabei bin ich mir gar nicht sicher, ob diese Klotzigkeit, die im Fall der beiden Betonmonster im Augarten unübersehbar ist, im Esterhazypark überhaupt wahrgenommen wird; zumindest die Kletternden der fortgeschrittenen Stadien bedauern, dass die Senkrechte nicht noch höher ist. Im Vergleich zur Eiger-Nordwand hat sie Dimensionen eines Lego-Alpenmodells. Das «Haus des Meeres», wo nur eine Scheibe Glas die Menschen vor Giftschlangen, Haien, Krokodilen oder Piranhas rettet, in ein Haus der Erinnerung zu verwandeln, ist heute weder machbar noch sehr sinnvoll; es gibt ja noch fünf andere Kriegstürme der Nazis in Wien, die auf eine solche Funktionalisierung warten und die, weil sie alle dem Denkmalschutz unterliegen, sich zu erinnerungskulturellen Verwendungen geradezu aufdrängen.
Dass die Gesellschaft das Angebot nicht annimmt, sagt einiges über sie aus. Immerhin hat die Betreibergesellschaft des ozeanischen Spektakels eine nicht in ihren Kompetenzbereich fallende Fleißaufgabe gelöst und unter der Devise «Erinnern im Innern» eine Ausstellung über die Entstehungs- und Funktionsgeschichte der Flaktürme gestalten lassen. Im Mini-Flakturmmuseum im 10. Stock stehen zweimal täglich historische Führungen am Programm. Zwei kritische Anmerkungen dazu: Die 20-minütige Führung kostet antivolksbildnerische 14,90 Euro pro Person, denn zugelassen wird man nur mit der Zoo-Eintrittskarte, auch wenn man nicht schon wieder unter die Fische will. Und die Wissensvermittlung in dieser Dachkammer des Krieges reicht nicht annähernd an das pädagogische Niveau des «Aqua Terra Zoos» mit seinen inzwischen 10.000 Tieren auf mehr als 4000 Quadratmetern Zoofläche heran. Man kann selbst von politisch interessierten OzeanologInnen im History-Guide-Status nicht erwarten, nebenbei kritische ZeitgeschichtlerInnen zu sein. BesucherInnen, deren Neugier sich genauso auf die Stellung der Organisation Todt im Nazisystem richtet wie auf das Rätsel, mit welchen Extremitäten eine bestimmte Krebsart in den Korallenriffen Schlagzeug spielt, sind wohl die wünschenswertesten; man sollte sie im Haus des Meerersatzes und der Endsiegpropaganda etwas mehr mit gesellschafts-, militär- und wirtschaftsgeschichtlichen Hintergründen verwöhnen, s´il vous plait. Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen den «sinnlosen Großprojekten» der Moderne – wie die milliardenverschlingenden Tunnelprojekte, viele Staudammprojekte, Flughafenprojekte, Superspitäler, gigantische Einkaufszentren oder die gegeneinander im stupiden Höhenwettbewerb stehenden Wolkenkratzer – und den sechs Wiener Flaktürmen, die ja ebenfalls Großprojekte waren, wenn auch ihre Bauzeit staunenswert kurz war, im Unterschied zu heutigen Gepflogenheiten (das Staunen vergeht bei genauerer Betrachtung: Für die Flaktürme konnte man beliebig viele Zwangsarbeiter zu Höchstleistungen verurteilen). Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Vorteile, die ihre Errichtung für die Gesellschaft bringen soll, vorgegeben sind, um ihre Legitimierung gegenüber dieser Gesellschaft zu sichern.
Dass die Megatunnelprojekte der Bahn nicht den Mobilitätsinteressen der Bevölkerung, sondern den Verwertungsinteressen der Investoren dienen, ist das meistbeschriebene Phänomen in Bezug auf die Bewertung von aktuellen Großprojekten. Im Falle der drei Wiener Flakturmpaare (jedes Paar besteht aus einem Gefechts- und einem Leitturm; das Alter Ego des Turms im Esterhazypark befindet sich in der Stiftskaserne) hieß diese Legitimierungsidee selbstverständlich: Sicherheit der Bevölkerung. Sicher waren bloß die Einnahmen der mit der Nazipartei und der Rüstungsindustrie verbandelten Bauwirtschaft (in diesem Fall der «Organisation Todt», wie der mit dem Staat verflochtene bauwirtschaftliche Monopolkonzern hieß). Aus der Perspektive der Kriegsführung waren die Flaktürme sinnlos, wie man mittlerweile aus vielen Dokumenten weiß. Das Konzept der Flaktürme war bereits bei Ende ihrer Fertigstellung überholt, obwohl einem Laien die Idee damals plausibel vorkommen musste: Für Flugzeuge, die im Schwarm fliegen, ist die Parallelität des Kurses ein Muss; ein Bombenflugzeug hat also beim Zielanflug sein Ziel eine gewisse Zeit lang geradlinig anzusteuern, bis die Bomben ausgeklinkt werden können. Innerhalb dieser Strecke ist sein Ort zu jedem Zeitpunkt relativ genau vorherzubestimmen, sodass theoretisch ein Volltreffer nach dem anderen von den Flaktürmen aus gelandet werden konnte. Tatsächlich konnte die 24. Deutsche Flakdivision, zu ihr gehörten auch die drei Wiener Turmpaare, im Einsatzzeitraum von August 1943 bis März 1945 etwa135 Flugzeuge der Alliierten abschießen – was einem zu vernachlässigenden Anteil der tatsächlich geflogenen Einsätze entsprach. Von 1.000 Flugzeugen trafen die Flaks in Wien bei Tag 80, in der Nacht 65. Für die Maschinen der US-Luftstreitkräfte, besonders beschussfest und in einer Höhe von 8.000 Meter angreifend, ging von den Wiener Flaktürmen keine besondere Gefahr aus. Das Bild der Flaktürme als «Stadtmauer des 20. Jahrhunderts» entspricht einem der bekanntesten Mythen des «Sechserpakets». Das angeblich durch die Türme gebildete städtebauliche Dreieck mit dem Stephansdom als Mittelpunkt ist eine Imagination. Die Erbauungsumstände waren von alltäglicherer Natur. Für die Standortwahl waren profane Überlegungen ausschlaggebend: Man brauchte ausreichend große Bauplätze im dicht verbauten Stadtgebiet – da kommen also nur die Parks in Frage. Und in der Nähe des Bauplatzes musste ein Bahnhof sein, um die Zulieferung des Baumaterials zu gewährleisten. Im Falle des Esterhazypark-Bunkers erfolgte die Zulieferung über den Westbahnhof und über Straßenbahnschienen.
Ein weiterer Mythos sieht in den Flaktürmen einen Hinweis auf die Sorge um die Zivilbevölkerung. Ute Bauer, eine Architekturhistorikerin, die sich um sichtbare Kommentierung der Türme hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte bemüht und im speziellen die Ausbeutung der Zwangsarbeiter zu einem Gegenstand der Erinnerungspolitik machen will, stellt klar: «Der Gefechtsturm im Augarten wurde erst im Jänner 1945 fertig gestellt. Dass man diesen aufwändigen Bautypus entwickelt und – trotz der Baustoffknappheit und der militärischen Lage gegen Kriegsende – umgesetzt hat, ist Zeugnis dafür, dass die Flaktürme gezielt propagandistische Funktionen erfüllen sollten. Die Bevölkerung sollte glauben, dass das NS-Regime sich um die Zivilbevölkerung kümmert, ihr Luftschutzbunker zur Verfügung stellt. Es sollte die Wehrhaftigkeit ausgedrückt werden und die Opferbereitschaft in der Bevölkerung gesteigert werden. Das heißt, es handelt sich um eine bewusste propagandistische Inszenierung der Flaktürme. In den Bauwerken heute nur die beiden Funktionen Luftabwehr und Schutzbunker zu sehen, bedeutet eine unbeabsichtigte, positive Besetzung.» Und noch ein Mythos: Die Flaktürme in Wien seien unzerstörbar. Wie erklärt man dann, dass die Hamburger und Berliner Pendants der «ostmärkischen» Flaktürme von den Alliierten abgetragen wurden? Die üppige Nachnutzung des Flakturms im 6. Wiener Gemeindebezirk, die das Innere wie das Äußere des Bauwerks modifiziert hat, lässt den «Rohbaucharakter» verloren gehen, der bei den anderen nackten Betontürmen so gewollt erscheint. Weil der Flaneur, die Flaneurin beim Flanieren nichts mehr liebt als die Begegnung mit Rätselhaftem, sei zum Schluss auf das Rätsel des Wiener Flakturmensembles als «baukunstfreie», «architekturferne» Zone verwiesen.
Die NS-Architektur hat bei repräsentativen Staatsbauten ja stets auf neoklassizistische Fassadenelemente zurückgegriffen und sie ins Monumentale gesteigert. Warum verzichtete sie bei den Flaktürmen auf jede architektonische Gestaltung? Fragwürdige Aussagen des deutschen Architekten Friedrich Tamms, der auch für die Wiener Flaktürme verantwortlich zeichnete, steigern das Rätsel. 1965 behauptete Tamms, er habe die Sichtbetonarchitektur der Flaktürme damals als endgültig angesehen. Von Tamms in der NS-Zeit verfasste Schriften wie etwa «Das Große in der Baukunst» von 1942 sprechen freilich eine andere Sprache. Eine baukünstlerische Ästhetisierung der Hochbunker und ihre Einbindung in das historische Stadtbild war eindeutig das Ziel. In einem Artikel vom Dezember 1940 wird ein oberirdischer Luftschutzbunker aus Stahlbeton explizit als «Rohbau» bezeichnet; eine Fassade nach Vorbild eines mittelalterlichen Wehrturms wurde vorgeschlagen. Was die Berliner und Hamburger Flaktürme betrifft, Tamms nannte sie «Schießdome», sind Skizzen und Pläne zur nachträglichen Umgestaltung bekannt. Eine rustikale Verkleidung der Stahlbetontürme mit Natursteinen und die Einbindung von Gefechts- und Leitturm in einen «Aufmarschplatz» war projektiert. Wie hätte Tamms Wien beglückt, hätte Seinesgleichen den Weltkrieg gewonnen! Sechs in der Sonne leuchtende Marmortürme, das war der Wiener Plan für die nächsten tausend Jahre. Tamms verkörpert die wunderbare «Metamorphose» von NS-Karrieristen in wertvolle Mitglieder der demokratischen Nachkriegsgesellschaft. 1934 war er Mitarbeiter Albert Speers bei dessen ersten großen Auftrag, dem Bau der Reichskanzlei. 1935 wurde er zum Fachberater für Angelegenheiten des Autobahnbaus ernannt. Während des zweiten Weltkrieges baute er Flaktürme und war gleichzeitig dafür zuständig, zerbombte Städte wiederaufzubauen, was ja nicht nötig geworden wäre, wenn die Flaktürme jene defensive Wirkung erzielt hätten, die Tamms suggerierte. Im April 1948 übernahm der Nazi-Architekt das Amt des Leiters für den Wiederaufbau in der Gemeinde Düsseldorf. Tamms war bis 1969 der oberste Düsseldorfer Stadtplaner. Er brachte seine gesamte Architektenseilschaft, die Clique rund um Speer, im Magistrat von Düsseldorf unter. Auf ausdrückliche Empfehlung von Speer waren diese Berufskollegen nicht der NSDAP beigetreten und hatten daher, wie Tamms selbst, problemlos die alliierte Entnazifizierungsphase passiert. Tamms starb 1980 und muss noch mitgekriegt haben, dass einer seiner Wiener Türme sich mit Wasser füllte und dass die BesucherInnen seines Turmes mehr an den wachsenden, sich natürlich und durch Zulieferung vermehrenden Bevölkerungen dieses vivarischen Gewässers, an Hammerhaien, nordatlantischen Kuhnasenrochen und atlantischen Suppenschildkröten interessiert sind als an seinem scheinbar irreversiblen und unsterblichen Beitrag zur Silhouette der Hauptstadt Österreichs. Sollte ihn dieses Prioritätengefälle betrübt gemacht haben, teile ich das Betrübnis. Wenn auch aus einem ganz anderen Grunde. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass vor 70 Jahren Sklaven sterben mussten und die zum Teil schönsten städtischen Parkanlagen geschändet wurden für das Unternehmen, unter dem Vorwand des Schutzes der Bevölkerung ein Baumonopol zu finanzieren, das den Segen Hitlers hatte.
Robert Sommer
INFO-BOX
Haus des Meeres
1060 Wien, Fritz Grünbaum-Platz 1;
http://www.haus-des-meeres.at/
Interdisziplinäres Forschungszentrum
Architektur und Geschichte – iFAG;
http://www.if-ag.org/
(mit Publikationshinweisen zu Ute Bauers Arbeiten zu den Flaktürmen)
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