20. Bezirk, Brigittenau
Die Brigittenau ist heute ein aufstrebender Bezirk, der vor allem für junge Menschen – StudentInnen, Jungfamilien, KünstlerInnen – immer interessanter wird, aufgrund seiner optimalen Lage zwischen Stadtzentrum und Grünräumen, der guten Ausstattung, aber nicht zuletzt wegen der vergleichsweise noch immer günstigeren Mietpreise. Geschichtlich ist die Brigittenau ein eher junges Stadtviertel und wurde im Jahr 1900 ein eigenständiger Bezirk. Davor war das Gebiet Teil der Leopoldstadt, und vor 1850 gehörten die beiden Ortschaften Brigittenau und Zwischenbrücken zu Niederösterreich. Aufgrund der Lage in den Donauauen war ein Großteil der Bewohner damals Fischer, Schiffsmüller oder Gärtner. Nach Bau der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn 1837 wurde die Gegend für Fabriken und Gewerbeunternehmen attraktiv, die wiederum Arbeitssuchende anlockten. So kamen viele Zuwanderer – Tschechen, Slowaken, Ungarn, Polen, Italiener, Kroaten, Juden – um hier eine neue Heimat zu finden. Von anderen jungen Stadtvierteln unterschied sich die Brigittenau durch ihren hohen Anteil an jüdischer Bevölkerung. Viele kamen aus Osteuropa am Nordbahnhof an – das Augartenviertel, die sogenannte „Alt-Brigittenau“, war das Zentrum des jüdischen Lebens. Mit dem Zwi Perez Chajes Zentrum in der Rauscherstraße ist seit 2000 eine neue jüdische Community in der Brigittenau entstanden. Im 18./19. Jahrhundert war in der Brigittenau eine rege kulturelle Tradition. Das erste „Massenverkehrsmittel“ Wiens, eine Pferdebahn, führte 1840 entlang des Donaukanals über den heutigen Gaußplatz und die Jägerstraße zum Colosseum, einem Unterhaltungsetablissement. In der Nähe des Colosseums entstand 1843 eine weitere Vergnügungsstätte der Brigittenau, der Vergnügungspark "Universum". Und auch der Brigittakirtag, der seinen größten Aufschwung ab 1775 erlebte, als Kaiser Joseph II. den Augarten der Allgemeinheit öffnete, lockte alljährlich am am ersten Sonntag nach dem Julivollmond zigtausende BesucherInnen in den Bezirk. Der Aktionsradius Wien, neben Vindobona und Shelter einer der wenigen Kulturveranstalter der Gegenwart, hat mit den Openair Festen im Augarten an diese Tradition angeknüpft und bietet heute – als „Freiraum des Denkens“ – Themenveranstaltungen und Stadtführungen an.
Zur Geschichte im Detail:
1850 wurden die Orte Brigittenau und Zwischenbrücken als Teile des 2. Bezirks „Leopoldstadt“ nach Wien eingemeindet. Am 24. März 1900 wurden sie unter der Bezeichnung "Brigittenau" zum 20. Wiener Gemeindebezirk erhoben.
Verfehlte Schwedenbomben und einschlagende Massenkultur
An der Stelle des späteren Ortes Brigittenau befand sich früher eine Wiese. Das umliegende Gebiet wurde Schottenau, später Wolfsau genannt und war ein Teil des Unteren Werds. Hier wurde an der heutigen Forsthausgasse 1645-1651 von Filiberto Lucchesi die Brigittakapelle erbaut, die 1695 erneuert und 1902/03 restauriert wurde. Angeblich soll Erzherzog Leopold Wilhelm ihre Errichtung befohlen haben, nachdem er als Anführer der kaiserlichen Truppen 1645 in der Gegend der Wolfsau am Brigittatag knapp von einer schwedischen Kanonenkugel verschont worden war. Die Wolfsau wurde später Brigittenau genannt. Hier richtete man auch einen kaiserlichen Fasangarten ein, der unter Josef II. für die Bevölkerung geöffnet wurde. Bald entstanden einige gut besuchte Gasthäuser. Seit 1775 wurde alljährlich der überaus beliebte Brigittakirtag, unter Beteiligung sämtlicher Volksschichten, abgehalten. Der Andrang wurde schließlich so stark, dass in der Gegend des so genannten "Strohecks" eine Schiffsbrücke über den Donaukanal errichtet werden musste, um den Verkehr leichter zu bewältigen. Franz Grillparzer hat in der Novelle "Der arme Spielmann" diesen unglaublichen Trubel beschrieben. Nicht selten kamen 60.000 bis 80.000 Besucher zu dem Kirtag, der am ersten Sonntag nach dem Julivollmond begangen wurde; der so genannte Nach-Kirtag zog oft noch mehr Menschen an. Nach 1848 wurde der Brigittakirtag verboten.
Die Oktoberrevolution 1848
Im Zuge der Oktoberrevolution 1848 in Wien wurde der junge Sprecher der republikanischen Linken aus Deutschland, Robert Blum mit einer Sympathieadresse der Liberalen ins revolutionäre Wien gesandt, wo er sich aktiv am Kampf gegen die kaiserlichen Truppen beteiligte. Nach der Einnahme Wiens durch Feldmarschall Windischgrätz wurde Blum, obwohl unter Immunität stehend, auf Anweisung Fürst Schwarzenbergs am 9.11.1848 im Brigittawaldl standrechtlich erschossen. Im Bezirksmuseum Brigittenau ist das Revolutionsjahr 1848 durch die Robert-Blum-Gedenkaustellung vertreten. Originalbriefe und persönliche Andenken Robert Blums befinden sich im Besitz des Museums.
Das Jahrzehnt der Gemeindebauten
1846 begann man mit der Rodung der Auen und mit dem Bau von Fabriksgebäuden, auch Küchengärten wurden angelegt. Besonders seit 1860 wurde die Brigittenau vom Süden her rasch verbaut und 1900 – zusammen mit Zwischenbrücken – zu einem eigenen Gemeindebezirk gemacht. In der Ersten Republik wurde eine Reihe von Gemeindebauten errichtet, darunter der Winarskyhof (1924/25), der Janecekhof (1925/26), der Beerhof (1925/26) und die Wohnhausanlagen in der Stromstraße/Leystraße und am Friedrich-Engels-Platz. Der letztgenannte Großkomplex, 1930-1933 nach Plänen von Rudolf Perco erbaut, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg noch wesentlich erweitert. Als „Wahrzeichen“ des Bezirks gilt neben der Brigittakapelle die 1867-1873 von Friedrich Schmidt erbaute Brigittakirche, ein neugotischer Backsteinbau mit zwei Fassadentürmen und vorgelagerter Halle. Angesiedelt ist die Kirche am Brigittaplatz 14, vis à vis des heutigen Amtshauses.
Der geteilte Bezirk
Die kleine Gemeinde Zwischenbrücken lag an der 1439 erwähnten hölzernen Jochbrücke, die etwa an der Stelle der heutigen Floridsdorfer Brücke die Donau kreuzte. Ihren Namen leitet die Ortschaft von ihrer späteren Lage „zwischen den Brücken“ ab. Durch die Donauregulierung 1875 verschwand ein Teil des Siedlungsareals zusammen mit dem mittleren Donauarm. 1850 wurde Zwischenbrücken zusammen mit der Brigittenau dem 2. Bezirk einverleibt. 1898 wurde im Gasthaus „Ockermüller“ der Grundstein zur Selbstständigkeit gelegt; die Brigittenau strebte eine eigene Verwaltung an. Die Allerheiligenkirche in der Vorgartenstraße wurde 1945 zerstört und entstand an anderer Stelle neu. Der 20. Bezirk wird durch die Trasse der Nordbahn (heute Schnellbahn) zerschnitten, dazu kommen einige stark befahrene Durchzugsstraßen wie die Adalbert-Stifter-Straße oder die Marchfeldstraße. Drei Brücken verbinden den Bezirk mit Floridsdorf, eine Reihe von Brücken und Stegen quert den Donaukanal. Der solcherart verkehrsgünstig gelegene Bezirk ist jedoch sehr grünarm und auf das Naherholungsgebiet des Augartens angewiesen.
Der Nordwestbahnhof, der letzte der großen Wiener Bahnhöfe, wurde 1870 bis 1873 erbaut, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und nach 1945 abgetragen. Er stand auf dem Gelände des ehemaligen Kolosseums, das in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts als "Universalunterhaltungslokal" errichtet worden war und 1834 den Namen "Universum" erhielt. 1834 wurde es mit einer Pferdeeisenbahn mit der Stadt verbunden, 1842 wurde es geschlossen und 1865 demoliert.
Jüdische Brigittenau
Aufgrund der Nähe zum Nordbahnhof war die Brigittenau – wie auch die Leopoldstadt – Teil der Mazzesinsel, also von jeher stark jüdisch geprägt. Hier kamen viele Zuwanderer aus Osteuropa am Nordbahnhof an, um hier eine neue Heimat zu finden. 1910 lag der Anteil der jüdischen Bevölkerung in der Brigittenau bei 14% - nach den Bezirken Leopoldstadt (34%), Alsergrund (21%) und Innere Stadt (20%) lag der 20. Bezirk damit an vierter Stelle. In der „Alt-Brigittenau“, der Gegend um den Gaußplatz, lag der Anteil der jüdischen Bevölkerung aber bei 50-70%. Schon vor dem 1. Weltkrieg war die Gegend um den Gaußplatz ein christlich-jüdisch gemischtes, (klein)bürgerliches Wohngebiet. Viele BewohnerInnen waren Kleingewerbetreibende und Händler, vielfach in der Bekleidungsbranche tätig, aber auch ÄrztInnen, Angestellte und Beamte, Freiberufler.