Die Gänseblümchenguerilla
Sie kennen Sarah Wiener, gewiss. Entweder als Autorin («Das große Sarah Wiener Kochbuch») oder als Star-Fernsehköchin (die schönste ihrer Serien hieß «Sarah und die Küchenkinder» und war 2009 auf Arte zu sehen). Aber wissen Sie auch, dass sie als Jugendliche eine urbane Guerillera war? Eine der jüngsten Initiatorinnen in der Geschichte der Wiener Protestbewegungen seit der 68er Rebellion?
Wir lassen Frau Wiener selber zu Wort kommen. «Ich fühle mich als Auslöserin der Burggarten-Bewegung. Ich bin eines Tages vom Internat abgehauen und hab im Burggarten abgemähte Gänseblümchen aufgehoben. Zwei Polizisten fragen mich, was ich da tu. Sind Sie blind? sage ich. Sie sehen doch: Blumen aufheben. Die Polizisten verlangen meinen Ausweis. Warum, frage ich. Betreten des Rasens verboten, sagt einer der Beamten. Er fasst mich an, ich schreie um Hilfe. Die Freaks, die auf den Treppen des Palmenhauses saßen, kommen und fordern die Polizisten auf, mich – das Mädchen – loszulassen. Der Polizist dreht mir die Hände auf den Rücken. Ein richtiger Tumult entsteht. Mehr Freaks sind plötzlich da, aber auch ein Polizei-Großaufgebot. Ich werde festgenommen und bleibe die halbe Nacht eingesperrt. Am nächsten Tag steht in den Zeitungen: 16-jährige festgenommen, ohne Eltern Bescheid zu sagen. Der Polizeipräsident entschuldigt sich bei meiner Mutter. Ich werde in die TV-Sendung Ohne Maulkorb eingeladen. Ich und meine neuen Freunde nehmen uns vor: Jetzt gehen wir jedes Wochenende in den Rasen und protestieren für Rasenfreiheit im Burggarten. Jeden Samstag und Sonntag Schlägerei mit der Polizei. Es gibt Fotos, wo ich von drei Polizisten an Händen und Füßen weggeschleift werde.»
Eine Erinnerung an das Jahr 1979. Manchmal brauchen wir solche Erinnerungen, um zu erkennen, dass Zivilcourage sehr hilfreich sein kann, um die Dinge in der Stadt und im Staat zum Besseren zu wenden, zu mehr Liberalität zum Beispiel. Heute wird, wenn es warm und trocken ist, im Rasen des Burggartens gepicknickt, dass es eine Freude ist. Sich im Schatten der alten Bäume auszustrecken, ist längst kein subversiver Akt mehr. Wenn Polizisten kommen, mahnen sie höchsten die RadfahrerInnen ab, die durch die Parkanlage rasen. In den Erinnerungen anderer Menschen mögen andere Namen fallen, wenn vom auslösenden Moment der Bewegung für die Rasenfreiheit die Rede ist. Einerlei: Diese Bewegung markierte das Ende des frustrierten Rückzugs vieler nonkonformistischer junger WienerInnen nach der Enttäuschung des Arena-Abbruchs (1976). Und aus der Burgarten-Bewegung heraus entstand eine Vielzahl aktivistischer Projekte, vor allem Hausbesetzungs-Initiativen.
Die Erringung der Rasenfreiheit kann als die zweite Emanzipation des Burgartens bezeichnet werden, der ursprünglich ein Privatgarten des Kaisers war.
Die erste, große Emanzipation ereignete sich im revolutionsschwangeren Jahr 1919. Das gärende Volk bzw. seine neuen Sprecherinnen und Sprecher nannten den Park «Garten der Republik» und machten ihn öffentlich zugänglich. Die große Terrasse des «Palmenhauses» (ab 1900 nach den Plänen des Wiener Architekten Friedrich Ohmann erbaut, der auch für die Wienfluss-Regulierung im Bereich des Stadtparks verantwortlich zeichnet), das den Burggarten gegen das Stadtzentrum hin abschließt, ist eine der repräsentativsten in Wien. Sie trägt den Schanigarten des Palmenhaus-Restaurants, das nicht gerade zu den Proletarierkneipen der Hauptstadt gezählt werden kann. TouristInnen aus Russland wundern sich trotzdem über die moderaten Preise. Links nach dem Eingang ins Restaurant befindet sich die so genannte Kunst-Vitrine – ein prüfender Lokalaugenschein verhilft leider zu der Erkenntnis, dass sie von den ein- und austretenden Gästen nicht bis kaum beachtet wird. Umso weniger, als derzeit bloß ein Stück Draht in dem Schaukasten liegt. Es ist ein Draht mit Bedeutung. Man müsste die Erklärung an der Wand lesen, um einen Draht zum Draht zu kriegen: «Flaneur» nennt der Künstler Johannes Heuer sein Objekt. Er geht seine Spazierwege ein zweites Mal, indem er sie in Draht nachbiegt. Im Fall des Objekts in der KunstVitrine entspricht der relativ gerade Streckenverlauf des Gletscherweges Morteratsch (Schweiz) mit seiner Nord-Süd-Ausrichtung räumlich der schmalen, gestreckten Form der Vitrine. Von Zeit zu Zeit wird eine Projektion an die Wand geworfen, die eine Kamerafahrt entlang des Objekts in annähernder Schrittgeschwindigkeit des damaligen Spaziergangs zeigt.
Wessen Körper a) den spontanen Bedarf hat, von tropischem Klima eingehüllt zu werden, oder wer b) keine Angst vor hunderten frei herumfliegenden Schmetterlingen hat, sollte das Schmetterlingshaus besuchen, das ein Teil des Ohmann´schen Palmenhauses ist. Es ist quasi ein kleiner Seitensprung aus dem Neoliberalismus heraus, gewinnt man doch im Schmetterlingshaus Informationen, die wenig relevant für Wirtschaftswachstum und ökonomische Effektivitätssteigerung sind – etwa, dass es 180.000 Schmetterlingsarten auf der Welt gibt und dass jedes Jahr im Schnitt 500 neue Arten entdeckt werden. Oder dass in Österreich 3.800 Nachfalterarten, aber nur 200 Tagfalterarten existieren. Ein Jammer, wenn man bedenkt, dass die Tagfalter wesentlich ästhetischer sind.
Verlässt man den Burggarten, um in Richtung Oper zu flanieren, passiert man das Goethe-Denkmal des Bildhauers Edmund von Hellmer am Parkeingang an der Ringstraße. Der Bildhauer erleichtere uns, den Dichter aller Dichter zu sehen, schrieb die «Neue Freie Presse» im Dezember 1900, kurz nach der Errichtung des Denkmals: Er tut das, «indem er das Standbild ziemlich niedrig stellt, selbstverständlich nicht so niedrig wie seinen Schindler im Stadtpark, aber doch nicht so hoch, als es sonst bei Statuen der Brauch. Er schafft uns einen bequemen Sehwinkel. Es bedarf keiner physischen Anstrengung, um das Kunstwerk zu genießen. Man braucht kein Fernrohr, um bis zur Stirne zu kommen, braucht sich nicht den Hals auszurenken, um nur bis zum Stiefel des Helden zu gelangen. Fast ohne aufzusehen, sieht man diesen Goethe. Er ist unserer Sphäre näher gerückt, er thront in unserem Gesichtsbezirk, immer noch über uns, das versteht sich, aber doch nachbarlich genug, dass der Festredner einen vollen Brustton heraufholen und mit Recht ausrufen darf: Er ist unser! […] Noch etwas Neues sieht man auf den ersten Blick an dem Denkmal, und dieses Neue führt uns zum guten Alten zurück. Man sieht nämlich etwas, was man nicht sieht: keine geschwätzigen Attribute, keine flügellahmen Allegorien, keinerlei vorlautes Beiwerk, das den Dichter zu erklären, zu erläutern, zu kommentieren, zu symbolisieren sich abmühte. Das Werk deutet sich selbst. Goethe sitzt ganz allein da droben, Goethe, der Alleinherrscher, und neben ihm kauert nicht die Hilflosigkeit des Künstlers. Für gewöhnlich beweist es ja nichts Anderes, als Unzulänglichkeit des Talentes, wenn Bildhauer ihre Statuen mit feierlichem Schnickschnack überladen. Da drängen sich allerhand Nebenfiguren herbei, um auch mitzutun, und aus irgendeinem verschollenen Himmel fallen geistlose Abstraktionen herunter und bleiben an dem Sockel kleben.»
Für die Nebenfiguren, die sich inzwischen doch an den Dichter herandrängen, kann unser Künstler nichts. Es sind die TouristInnen aus jeder Himmelsrichtung, die sich neben Goethe in Pose werfen, um im digitalen Speicher der Milliarden Urlaubsfotos zu landen, Dokumente eines Wien-Urlaubs, an den man sich bald nicht mehr erinnert, weil niemand auf die Idee kommt, die Routen der Flanerien durch Wien mit einem Stück zurechtgebogenen Draht für ewige Zeiten sichtbar zu machen.
Robert Sommer
INFO-BOX
Öffnungszeiten Burggarten:
1.4.2014 bis 31.10.2014: 6.00 bis 22.00 Uhr
1.11.2014 bis 31.3.2015: 6.30 Uhr bis 19.00 Uhr
http://www.bmlfuw.gv.at/ministerium/bundesgaerten/parkoeffnungszeiten/oeffnungszeiten_wien.html
Öffnungszeiten Palmenhaus:
Montag bis Donnerstag: 10.00 – 24.00 Uhr
Freitag, Samstag: 10.00 – 01.00 Uhr
Sonn- & Feiertag: 10.00 – 23.00 Uhr
http://www.palmenhaus.at/
Öffnungszeiten Schmetterlingshaus:
Sommer: April – Oktober
Montag - Freitag: 10:00 Uhr – 16:45 Uhr
Samstag, Sonntag & Feiertage: 10:00 Uhr – 18:15 Uhr
Winter: November – März
Montag - Sonntag (inkl. Feiertage): 10:00 Uhr – 15:45 Uhr
http://www.schmetterlinghaus.at/
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