10. Bezirk, Favoriten
Welche Assoziationen haben Sie mit Favoriten? Böhmischer Prater, Spinnerin am Kreuz, Kurbad Oberlaa, Amalienbad, Viktor-Adler-Markt oder Tichy Eis am Reumannplatz? Oder denken Sie eher an die großen Wohnhausanlagen wie Peer Albin Hanson Siedlung, Wienerberg City oder Monte Laa?
Favoriten, der erste Bezirk außerhalb des Gürtels, ist ein geschichtlich junger Bezirk und entwickelte sich erst nach der Errichtung des Arsenals (1849) zu einem stark verbauten Gebiet. Im 19. Jahrhundert wurden hier große Ziegelwerke errichtet und v.a. tschechische Arbeiter beschäftigt. Auch die Ziegel der Ringstraßen-Prunkbauten stammen aus Favoriten. Den Namen hat der Bezirk aber vom kaiserlichen Lustschloss Favorita bekommen, dem heutigen Theresianum in der Favoritenstraße im 4. Bezirk.
Seit 2000 sind in Favoriten riesige neue Stadtteile mit tausenden neuen Wohnungen entstanden, die Wienerberg City oder Monte Laa. Und das „Jahrhundertprojekt“ Hauptbahnhof, das über einen Verkehrsknoten hinaus einen ganzen neuen Stadtteil entstehen lässt, wird Favoriten auch die nächsten Jahre noch massiv prägen!
Zur Geschichte im Detail:
Durch einen Gemeinderatsbeschluss im Jahr 1873 konnten 1874 die Grenzen des neu geschaffenen 10. Wiener Gemeindebezirks festgelegt werden, von dem Teile vorher zum 4. Bezirk gehörten. Die außerhalb des Gürtels gelegenen Teile des 3. und 5. Bezirks wurden genauso Teil des neuen 10. Bezirks "Favoriten" wie Teile von Ober- und Unterlaa und Inzersdorf. 1954 folgten auch die restlichen Teile von Ober- und Unterlaa sowie Rothneusiedl. Von der erstmaligen urkundlichen Erwähnung (1171) bis Mitte des 19. Jahrhunderts existierten "An der Hauptstraße nahe dem Wienerberg" jedoch nur verstreute Bauernhäuser und Weingärten. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es daneben nur den "Roten Hof" (ein altes Jagdschloss) und das "Alte Landgut" (ursprünglich eine Ziegelei). Letzteres wurde im Jahr 1834 zu einem Casino umgebaut, 17 Jahre später wurde der Garten in einen Acker und das Gebäude in eine Fabrik verwandelt. Seit 1850 wuchsen die Wohnkasernen für die ankommenden Arbeitermassen – so entstand die "Siedlung vor der Favoritner Linie", woraus sich kurzerhand der Name "Favoriten" einbürgerte.
Denkmäler der Arbeiterkultur
Zinskasernen und Fabriken prägen das Bild bis heute, entstanden sind diese zwischen 1875 und 1918 – Favoriten wurde zu einem typischen Arbeiter- und Industriebezirk mit hohem Zuwanderer-Anteil (Tschechen und Kroaten). Das Arsenalgelände vor der Belvedere-Linie beherbergt heute viele öffentliche Institutionen, z.B. das Heeresgeschichtliche Museum, der anschließende Schweizer Garten das 21er Haus, ein Museum für zeitgenössische Kunst, das 2011 nach Um- und Ausbau als Dependance der Österreichischen Galerie Belvedere wiedereröffnet wurde.
Der Südbahnhof wurde in den Jahren 1869-1873 errichtet, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, von 1951-1960 neu erbaut. 2009 wurde er abgerissen, um Platz zu machen für den neuen Hauptbahnhof, der 2012 eröffnet wurde. Im Zuge dieses städtebaulichen Großprojekts wird zusätzlich zum Verkehrsknoten in den nächsten Jahren noch ein ganzes Stadtviertel neu entstehen.
Der markante Kuppelbau der Antonskirche bildet den geographischen Bezirks-Mittelpunkt an der Favoritenstraße, er wurde 1896-1901 erbaut und nach dem Krieg 1945 wieder hergestellt. Das Favoritner Arbeiterheim in der Laxenburger Straße (erbaut 1902) ist ein Denkmal der Arbeiterkultur. Das Amalienbad am Reumannplatz war nach seiner Fertigstellung 1926 das modernste Hallenbad der Welt. Das Herz des Bezirks bildet die heutige Fußgängerzone Favoritenstraße, die durch die U-Bahn verkehrsmäßig erschlossen ist.
Der "Böhmische Prater" auf dem bis dahin gänzlich unverbauten Laaerberg wurde 1885 als Erholungs und Vergnügungsareal für die Ziegelarbeiter der Wienerberger Ziegelfabrik eingerichtet. Die Per-Albin-Hansson-Siedlung wurde 1951 übergeben, 1959 das Laaerbergbad eröffnet und im Jahr 1965 die schon lange bekannte Schwefelquelle in Form eines Kurzentrums der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Auf der Kuppe des Wienerberges in Favoriten steht der Wasserturm, als eines der markantesten Bauwerke im Stil des industriellen Historismus. Er wurde in den Jahren 1898 – 1899 errichtet und versorgte die hoch gelegenen Gebiete des 10. und 12. Bezirkes mit Trinkwasser. Diese Aufgabe übernahm wenige Jahre später die II. Wiener Hochquellwasserleitung, die 1910 in Betrieb genommen wurde. Ab dieser Zeit war der Turm nur fallweise in Betrieb, etwa wenn die II. Hochquellenwasserleitung für Instandhaltungsarbeiten trockengelegt werden musste.
Aus „Lö“ wurde „Oberlaa
Die ehemaligen Straßendörfer Ober- und Unterlaa wurden Ende des 12. Jahrhunderts urkundlich erstmals als "Lö" erwähnt. Die Pfarrkirche "Zum Hl. Aegyd" wurde 1744-1746 von Matthias Gerl in Oberlaa erbaut, die Johanneskapelle enthält erste Spuren des Christentums in Wien aus spätrömischer Zeit.
Rothneusiedl, erstmals 1301 urkundlich erwähnt, an der unteren Liesing gelegenes Fabriks- und Wohnviertel, war bis 1938 ein selbstständiger Ort, gehörte bis 1954 zum 23. Bezirk und ist seither ein Teil Favoritens.
Der Galgen am Wienerberg
Die Triester Straße, nach wie vor die große Ausfallstraße nach Süden, führt auf die Höhe des Wienerbergs. Dort steht die sagenumwobene "Spinnerin am Kreuz", eine spätgotische Votivsäule, die 1375 erbaut, später zerstört und 1451-1452 vom Dombaumeister Hans Puchsbaum wieder errichtet wurde. Ihren heutigen Namen hat sie erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Säule markierte die äußerste Grenze der Wiener Stadtgerichtsbarkeit. In unmittelbarer Nähe befand sich das Hochgericht und die größte Hinrichtungsstätte Wiens – „der Galgen am Wienerberg“, wo bis ins 19. Jahrhundert öffentliche Hinrichtungen durch den Galgen oder das Rad erfolgten.
Unvorstellbar arm – die „Ziegelbehm“ am Wienerberg
Der Großteil von Inzersdorf (1120 erstmals erwähnt) gehört heute zum 23. Bezirk. Im frühen 19. Jahrhundert sorgte Heinrich Drasche durch die Ansiedlung der Ziegelindustrie für gewaltigen Aufschwung. Die Verlegung der Ziegelöfen aus dem innerstädtischen Bereich auf den Wienerberg (per kaiserlichem Erlass) sicherte Drasche praktisch ein Monopol, das angesichts des Baubooms jener Zeit äußerst einträglich war. Anders erging es den zumeist böhmischen Ziegeleiarbeitern – diese mussten unter unvorstellbar ärmlichen Bedingungen arbeiten. Auf diese Ausbeutung und das daraus resultierende Elend machte 1888 der junge Arzt Dr. Viktor Adler aufmerksam.
Die Ziegelwerke bestanden bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und waren noch in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg voll im Betrieb. Erst als die Rohstoffvorkommen weitgehend erschöpft waren und der Abbau zunehmend unwirtschaftlich wurde, begann man in den sechziger Jahren, die Lehmgruben nach und nach zu schließen.